Dresdner Neueste Nachrichten, 04.01.2019

Ein Kosmopole zu Gast in Dresden

Artur Becker liest am 8. Januar im Stadtmuseum Dresden aus seinem jüngsten Roman „Drang nach Osten", der am 12. März in den Handel kommt

Von Axel Helbig

Artur Becker hat als 17-Jähriger seine polnische Heimat verlassen, seit dem 21. Lebensjahr schreibt er auf Deutsch und widmet sich neben der Lyrik vornehmlich dem Roman. Er schreibt Essays für die Frankfurter Rundschau und tritt häufig mit der Bremer Jazzband Swim Two Birds auf. Die Polonisten sehen ihn gern als polnischen Autor, der deutsch schreibt. Für die Germanisten ist er inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Literatur geworden. Becker selbst hält sich am liebsten in der Mitte auf und bezeichnet sich im doppelten Sinn als Kosmopole: Er denkt kosmopolitisch und ist von einer Fernliebe nach Polen durchtränkt. Seine Bücher sind inzwischen fast komplett ins Polnische übersetzt, er tourt heute durch sein Heimatland und ist gern gesehener und inzwischen auch gefürchteter Talk-Gast in polnischen Fernsehsendungen, denn Becker argumentiert aus einem „universellen blasphemischen Denken“ heraus, das jedwedes national zentrierte Denken ausschließt. Als Autor ist er ein Perfektionist: „Gerade weil ich in einer fremden Sprache schreibe, bin ich sehr misstrauisch", sagt er, „es dauert sehr lange, bis ein Manuskript fertig wird. Selbst in dem Moment, wenn ich ein Manuskript abgebe, „zittern meine Hände. Ich denke dann: Das hätte ich mindestens noch zehnmal lesen müssen, bis das wirklich sitzt. Das hat dazu geführt, dass die Sprache mehr und mehr in den Vordergrund gerückt ist. " Artur Becker schreibt deutsche Romane über polnische Themen, seine Bücher sind von einem magischen Realismus durchtränkt und mit Figuren aller Couleur ausgestattet. In seiner Literatur nimmt er nicht selten die brisanten Perioden der polnischen Geschichte als Hintergrund; in der Novelle „Die Zeit der Stinte" (2006) recherchiert die Hauptfigur einen Mord, den drei ehemalige KZ-Häftlinge gegen Kriegsende am Kommandanten eines Außenlagers des KZ Stutthof begangen haben. Im Roman „Das Herz von Chopin“ (2006) ironisiert er am Beispiel eines Emigranten- und Autohändlermilieus die Epoche der polnischen Romantik. Der Ro- man „Wodka und Messer. Lied vom Etrinken" (2008) streift die Zeit des Kriegsrechts in Polen, der transformacja (der polnischen Wende 1989) und der Jahre danach. In „Der Lippenstift meiner Mutter" (2010) thematisiert Becker die Desillusionierung der Bewohner” einer polnischen Kleinstadt im realen Sozialismus, stellt gebrochene Biografien in einer gebrochenen Stadt vor. Die Stadt schläft im „grauen Bett", schreibt Becker. Man lebt in schlecht konstruierten Plattenbauten oder in verfallenen Gebäuden, Hinterlassenschaften aus der Zeit, als der Landstrich noch zu Ostpreußen gehörte. In seinem neuen Roman „Drang nach Osten“, aus dem Artur Becker am Dienstag lesen wird, thematisiert er erstmals das Thema der Polonisierung nach 1945 und der Vertreibung der Deutschen aus Polen. Die Hauptgestalt des Romans, ein Pole, recherchiert die eigene Familiengeschichte und taucht dabei immer tiefer in das Geschehen unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein, wird mit entsetzlichen Entschlüssen und Taten konfrontiert, die über Leben und Tod entschieden haben. Ihn bedrängen zunehmend die immer gleichen Fragen: Wie konnten all die Verbrechen geschehen? Woher nur kommt das Böse? Was ist Freiheit - und was ihr Preis? Die Dresdner Literaturzeitschrift Ostragehege, in der im Dezember innerhalb einer Textsammlung um „Flucht und Vertreibung" ein Vorabdruck aus Beckers Roman zu lesen war, hat Artur Becker ins Dresdner Stadtmuseum eingeladen.

© Dresdner Neueste Nachrichten

 

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