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Die Zeit der Stinte

Frankfurter Rundschau, 1.10.2008

Das Gruselpanoptikum des Artur Becker

In »Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken« bastelt der deutsch-polnische Autor an einem polnischen Panorama 

Von Johannes Schneider

Wäre es Meppen, es interessierte wohl niemanden. Doch es ist Polen, besser noch: Masuren, herrlich weit weg also vom kleindeutschen Reihenhausalltag und voller Mystik und Birken- wälder: Zwischen preußischen Gütern und polnischen Waldgeistern lassen sich trefflich Geschichten ansiedeln, und wer als deutscher Autor eine polnische Großmutter im Schrank hat, tut dieser Tage gut daran, sie auszupacken und ihr einen raunenden Konjunktiv an die Hand zu geben. Dass Artur Becker dieses Schema bedient wie kein zweiter, ist dem Autor schwerlich vorzuwerfen, handelt er doch aus biographischer Notwendigkeit: Wer 1985, im Alter von 16 Jahren, von Polen nach Deutschland übergesiedelt ist, dem ist es beinahe Pflicht, den Kulturschock literarisch zu verwerten. So schreibt er Bücher zwischen dem Phantasma Masuren und der realen Heimat Niedersachsen, problembewusst, lakonisch und mutterwitzig, herrlich polnisch eben.

Der Versuch des großen Wurfs

Nun aber: »Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken«, ein 470-seitiges Epos, mit dem Becker im Versuch des großen Wurfs an den Dadajsee seiner Kindheit und seines Erstlings (»Der Dadajsee«) zurückkehrt. Es ist die Geschichte des Kuba Dernicki, der als Logistiker in einer deutschen Schlachterei, Mann einer deutschen Frau und Vater zweier deutscher Kinder nachts plötzlich von seiner polnischen Vergangenheit heimgesucht wird: Marta erscheint ihm im Traum - die war seine große Liebe, mit der er Anfang der 80er, zur Zeit der Revolte, als Student die Welt aus den Angeln heben wollte. Bis die »esbecja«, die polnische Stasi, sie in der Silvesternacht 1981/1982 über das Eis des Dadajsees jagte, in das Marta einbrach und ertrank. Getrieben von ihrer Erscheinung fährt Kuba nach Jahren zum ersten Mal zurück an den See, wo immer noch seine einäugige Tante Ala lebt: Bei ihr nistet Kuba sich ein, lernt die Hotelbesitzerin Justyna kennen und - natürlich - lieben. Denn Justyna gleicht Marta wie ein Zwilling, hat aber bereits Verhältnisse mit dem Unternehmer Leszek, einem Freund Kubas aus Umsturztagen, und dem populistischen Bürgermeister, der - wie sich später herausstellt - nebenbei auch Martas Mörder ist.

Um diese - bei aller Konstruiertheit - noch relativ »normale« Grundhandlung ranken sich nun jene paranormalen Unterstränge, die »Wodka und Messer« neben Sex, Drugs (Wodka) und Zeitgeschichte zu einem bemerkenswerten Buch machen sollen: Ein verkümmerter Zwilling, der bis zu Kubas zwölftem Lebensjahr in dessen Bauch wohnte (»ein ausgewachsener, toter Fötus, konserviert wie eine Mumie«), gibt diesem bis heute Ratschläge, redet teilweise sogar aus Kuba heraus. Ähnlich beredt ist auch das Messer, das Kuba mit sich führt und das ihn in regelmäßigen Abständen dazu auffordert, diesen oder jenen zu töten. Es ist das Messer, mit dem Kubas Vater bei der Hochzeit seiner Schwägerin Ala die eigene Frau und den Bräutigam in Suff und Eifersucht erstach.

Das Gruselpanoptikum ist damit lange noch nicht vollständig: Da ist noch der exkommunizierte Pfarrer Kazimierz, der eigentlich jüdischer Rabbi ist, und als solcher recht erfolgreich mit dem Jenseits, z.B. Marta, kommuniziert (nebenbei ist er noch Justynas Vater und ehemaliger Geheimdienst-Spitzel). Da ist Maciek, vermeintlich toter Jugendfreund von Kuba und Leszek, der mit einer aidskranken Hure im Wald wohnt und »viel weiß«, und da ist der Sarg, in dem vielleicht eine Fehlgeburt Justynas, vielleicht aber auch etwas ganz anderes ist. Über allem ist der Dadajsee, der, wie verlässlich raunend immer wieder angemerkt wird, mehr als jeder andere See Polens seine Toten fordert. Als nächsten - dieser Eindruck wird durch die Prophezeiung, er werde seine Frau und seine Kinder in Deutschland nicht wiedersehen, fortwährend erweckt - Kuba.

Es ist das vielleicht Beste an diesem Buch, dass Kuba am Ende nicht stirbt, sondern nur der Teil seiner Persönlichkeit, der sich in Deutschland arrangieren konnte. Stattdessen sieht Kuba spektakulär unspektakulär einer Zukunft mit Justyna entgegen, während um sie herum das polnisch-masurische Personal weiter seinen skurrilen Aktivitäten nachgeht: In der letzten Szene liegt Tante Alas Hausfreund Wojtek - weil sein Sohn im Irak gefallen ist - mit suizidalen Absichten im Kühlhaus und singt sein Lieblingslied »Wodka und Messer«, während das »verdammte Messer«, das Kuba ihm geschenkt hat, unverdrossen weiter Morde befiehlt.

Untergegangen im Aktionismus

So wie in dieser Szene geht Beckers ureigene Lakonie immer wieder im pathetischen Aktionismus seiner Protagonisten unter, nicht zuletzt auch in deren Formulierungen wie »Der Dadajsee hat deinen Vater vergiftet - mit der Eifersucht.« Ein großer Polen-Roman von Becker hätte so schön sein können, doch im Fall von »Wodka und Messer» ist zwischen den streng gestalteten Weissbooks-Buchdeckeln ein Kitschpanorama verborgen, das im Versuch Beckers, sich auf einen Streich die ganze polnische Heimat nach Deutschland zu holen, grandios scheitert. Alles wirkt schlichtweg zu involviert. Man würde sich vom selben Autor ein Buch über seine neue Heimat Verden an der Aller wünschen. Alternativ eines über Meppen. Aber das würde wieder niemanden interessieren. Leider.

 

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