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Die Zeit der Stinte

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Deutschlandradio, 11.09.08

Auf der Suche nach den Wurzeln

Von Vladimir Balzer

Der deutsch-polnische Autor von »Wodka und Messer« heißt tatsächlich Artur Becker - und hat nichts mit dem gleichnamigen kommunistischen Widerstandskämpfer zu tun. Seine Hauptfigur namens Kuba ist in Polen aufgewachsen und in den 80ern in den Westen gegangen. Als er nach der Wende sein Heimatdorf besucht, stellt er fest, dass eine Rückkehr unmöglich ist.

Was für ein Name für einen Schriftsteller! Artur Becker. Viele ostdeutsche Leser bringen diesen Namen nur insofern mit Büchern in Verbindung, als das in zahlreichen Jugendkulturhäusern mit dem Namen "Artur Becker" zu DDR-Zeiten vielleicht auch mal Lesekurse veranstaltet wurden. Artur Becker war ein kommunistischer Widerstandskämpfer im spanischen Bürgerkrieg und wurde in der DDR als Politmythos aufgebaut.

Ausgerechnet diesen Namen (kein Künstlername!) trägt ein polnisch-deutscher Autor, der über die bitteren Erfahrungen seines Haupthelden im kommunistischen Polen und über die Schwierigkeiten der Nachwendezeit schreibt. Viel erinnert dabei an ihn selbst, denn Artur Becker ist als Sohn deutsch-polnischer Eltern in Polen groß geworden und in den 80er Jahren in den Westen Deutschlands gegangen. Er schrieb zunächst auf Polnisch, bald aber nur noch auf Deutsch.

Beckers Hauptheld hat ebenfalls einen außergewöhnlichen Namen: Kuba. Kuba Dernicki. Wie der Autor in Polen groß geworden und in den 80ern in den Westen gegangen, genauer nach West-Berlin. Er hat dort als Computer-Experte ein gutes Auskommen, eine Familie - Frau, zwei Kinder. Und dennoch packt ihn eines Tages das Verlangen, an die Orte seiner Jugend zu reisen, obwohl er glaubte, damit abgeschlossen zu haben. Vielleicht sollte man besser sagen, es begraben zu haben, denn seine Jugend war von traumatischen Erlebnissen bestimmt: Kubas schwangere Freundin stirbt, als sie vor der kommunistischen Geheimpolizei flieht und im Winter in den See einbricht, Kubas Mutter stirbt, als sein alkoholisierter Vater sie und ihren angeblichen Geliebten ersticht. Schlimmeres kann man als junger Mensch wohl nicht erleben, zumal er beide Male Zeuge des Geschehens war.

Der See, in dem seine Freundin Marta starb, ist ein tragendes Motiv dieses Romans, ein großer See in den Masuren mit dem Namen Dadajsee. Der Tod ist durch ihn allgegenwärtig. Dutzende kommen dort im Laufe der Geschichte Einen Hinweis darauf liefert der Untertitel des Romans: Lied vom Ertrinken. Das Sterben im See macht das Buch weniger zum Kriminalroman, als dass es eher zum zynischen Symbol dafür wird, was die Zeit über Bord wirft in dieser Gegend, was sie untergehen lässt - die Wechsel vom Staatssozialismus, von den Hoffnungen auf ein anderes Land während der Streiks Anfang der 80er, über das Kriegsrecht bis hin zur Wende und der Zeit danach. Artur Becker erzählt souverän über diese Zeitbögen hinweg, über die Macht der Erinnerung, die für den Haupthelden so stark wird, dass er sein neues Leben in Deutschland aufs Spiel setzt, nur um seine eigene Herkunft in Polen zu verstehen.

Als er im Jahr 2006 - also über 20 Jahre nach seiner Ausreise - wieder in sein altes Heimatdorf fährt, will er verstehen, was damals passiert war und was die Leute heute darüber denken. Dabei muss er feststellen, dass er diesen Ort nie richtig verlassen hatte. Als er die Direktorin eines neu eröffneten Hotels kennenlernt, glaubt er seine alte Liebe Marta in ihr zu erkennen und verliebt sich in sie. Er bleibt deutlich länger als geplant, beobachtet in diesem Mikrokosmos das Polen des Jahres 2006 und stellt am Ende fest: "Man will zurückkehren, aber es geht nicht mehr."

Es liegt so viel in Artur Beckers neuem Roman: Witz, amüsante Überzogenheit, Tragik - ebenso wie die Macht der Erinnerung, die oft genug zu groß wird und die Gegenwart in Gefahr bringt. Manchmal droht der Roman auch überzukippen, allein quantitativ mit 460 Seiten den Maßstab zu verlieren. Doch Beckers Sprache - ihre Dynamik, ihre Greifbarkeit - lassen den Leser nicht los, den Leser, der einiges lernt, nicht zuletzt über das Land Polen der letzten 50 Jahre. Und darüber ist Einiges zu erzählen.


 

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