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Mittelbayerische Zeitung, 20.03.06

Ein Masure aus Verden an der Aller. Artur Becker lässt sich »Heimat« nicht nehmen

Von Reinhold Willfurth

LEIPZIG. Artur Becker ist einer der profiliertesten Vertreter der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur. Er veröffentlicht bei großen Namen der deutschen Verlagswelt. Vor 20 Jahren hat er sich aufgemacht in seine neue Heimat. Und wird doch nie ganz ankommen.
»Meine Frisörin lobt mich immer, wie gut ich schon Deutsch kann«, sagt Becker im MZ-Gespräch auf der Leipziger Buchmesse. Das gut gemeinte Lob ist ein Fall für den Toxikologen: Das versteckte Gift darin ist dem Absender nicht einmal bewusst. Einem wie Artur Becker, der nachweislich virtuos mit der deutschen Sprache umgeht, umso mehr: »Deutschland ist ein Immigrantenland geworden wie früher die USA. Nur wollen es die Deutschen einfach nicht wahrhaben.«
Als 16-Jähriger ist Becker 1985 seinen Eltern, polnischen Intellektuellen aus Masuren, ins deutsche Exil gefolgt: »Am Anfang war es ein großer Schmerz«, sagt er. Mittlerweile fühlt er sich pudelwohl in Verden an der Aller. Und dennoch: »Ich bleibe immer ein Fremder hier.«
Die sprichwörtlich gewordene »deutsche Angst« – nicht nur vor dem Fremden – ist für Becker der Schlüssel zu den gegenwärtigen und, falls sich nichts ändert, auch zu den zukünftigen Problemen des Landes: »Es gibt viel zu viele Ängste hier.« Beispiel Binnenkonjunktur: Die Deutschen geben das zweifellos vorhandene Geld nicht aus, weil sie eine diffuse Zukunftsangst hegen. »Da müsste doch was passieren«, sagt Becker. Beispiel zwei: Immigranten sind für Becker einer der Garanten für wirtschaftlichen Erfolg. »Während sich Deutschland vor dem polnischen Klempner fürchtet, leben in London 300.000 Polen und tragen zum dortigen Wirtschaftsboom bei.«
Wenn Deutschland die pragmatische Haltung der Engländer übernähme, würde es dem Land bald besser gehen. Becker klagt die deutsche Politik an: »Die hätten schon vor 20 Jahren reagieren müssen. « Aber auch die Immigranteneltern nimmt er in die Pflicht. Assimilation sei nicht nur Sache des Staates.
Wie lange es dauern kann, in einem neuen Land anzukommen, hat Becker am eigenen Leib verspürt. Alle seine fünf bisherigen Bücher beschäftigen sich mit Einwanderern aus Polen, genauer aus Masuren, dem Landstrich, den Becker als seine eigentliche Heimat betrachtet. So auch die Novelle »Die Zeit der Stinte«, die Becker in Leipzig bei dtv vorstellte. Erst sein neuer Roman »Das Herz von Chopin«, der im August erscheint, spielt »komplett in Bremen«. Die Hauptfigur in dem Schelmenroman aber ist ein Autohändler polnischen Ursprungs.
Heimat ist für Becker da, wo man seine Kindheit erlebt hat. »Es war eine Illusion zu glauben, dass die Sprache Heimat sein kann«, sagt der Autor, der im Mai zu Gast bei den Weidener Literaturtagen ist.Er weiß, was er an seinem Masuren hat. Und er will es auf keinen Fall verlieren. Die Ansicht von Jury Andruchowytsch, dem Leipziger Buchpreis-Träger und Freund, dass die Autorenperspektive vom Rande Europas aus Probleme im Inneren Europas lösen könne, teilt Becker daher nur bedingt: »Der Blick aus der Vogelperspektive ist sehr gefährlich, weil man den Blick auf die eigene Herkunft verlieren kann.«

 

 

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