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Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang

Sächsische Zeitung, 25.04.2014

Mit Mariola unterm Regenschirm - Artur Becker reist in seinem opulenten Roman nach Masuren in die Kindheitslandschaft

Von Karin Grossmann

Wenn ein Autor sein Thema gefunden hat – oder es ihn –, dann kann dies ein großer Glücksfall für die Literatur sein. Das gilt besonders dann, wenn dieses Thema in so vielen virtuosen, abenteuerlichen, bezaubernden und im besten Sinne des Wortes verrückten Variationen aufscheint wie bei Artur Becker.
Seine Gedichte und Geschichten kreisen um Masuren, die Landschaft seiner Kindheit. Hier gibt es zwei Sprachen, zwei Völker, zwei Heimaten, viele Seen und ebenso liebenswerte wie skurrile Menschen. Eindeutig festzulegen ist die Region nicht. Die Grenzen um den Zankapfel Polen haben sich immer wieder verschoben. Wohl deshalb ist der Name Masuren im Polnischen ein grammatikalischer Plural. Vielleicht liegt es auch daran, dass hier so viele Geschichten zu finden sind. Einige bündelt Artur Becker in seinem jüngsten Roman „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ zu einem funkelnden Kaleidoskop aus Erinnerungen, Erfindungen, Wendungen, philosophischen Erkenntnissen und wunderbaren Augenblicken. Im Hintergrund ereignen sich die politischen Veränderungen in Polen zwischen den Jahren 1980 und 1994. Becker geht noch weiter zurück, er erzählt fast vier Jahrzehnte polnisch-deutsche Geschichte.

Spiel um den kleinen Fisch

„Ausgerechnet an Allerseelen musste Onkel Karol sterben, ausgerechnet in dieser polnischen Novembernacht, die so unerwartet und tötungswütig die einheimischen Gefilde verlassen hatte, von Bartoszyce und dem Lytrisee in Warmia und Masuren nach Verden an der Aller gezogen war, um hier ihr Unwesen zu treiben – in Areks angenähtem Land der Findlinge, Sachsen und Nordseeinseln, in der Heimat der Stinte und evangelischen Friedhöfe, im Orkanauge der deutschen Sprache.“ Dieser Satz findet sich auf der ersten Seite des Romans und dient als Ausgangspunkt für eine turbulente Reise in die Vergangenheit. Karols Tochter Mariola sucht ihren Cousin Arek auf, der bei ihrem Vater Totenwache hält. Sie zieht sich splitternackt aus, legt sich unter einen aufgespannten Regenschirm und ruft: „Komm, lass uns ein letztes Mal ‚Die kleine Maräne‘ spielen – unser altes Spiel vom Weltende!“
Dieses Spiel um den kleinen Fisch hatten sie als Kinder gespielt, ehe sie eine heimliche Liebschaft miteinander begannen. Das war jetzt ein Vierteljahrhundert her. Doch statt sich in jene Maräne zu verwandeln und alles zu vergessen, steigen in Arek die Erinnerungen hoch: an seine Zeit in Masuren am Lytrisee, die Liebe zu Edyta, seiner Frau; die Zeit, als er Polen verließ, um in Deutschland ein anderes Leben zu führen.
Die äußeren Lebensdaten von Arek ähneln ein wenig denen des Schriftstellers Artur Becker, der 1968 in Bartoszyce geboren wurde als Sohn polnisch-deutscher Eltern. In den Achtzigerjahren siedelte er nach Deutschland über, studierte Slawistik und Germanistik.

Hütten mit Namen von Planeten

Immer wieder kehrt Arek zum Lytrisee zurück, in das Erholungsheim, das den Namen des kleinen schmackhaften Lachsfisches trägt. Areks Vater gab den Hütten und Bungalows Namen von Planeten und Sternen und wachte über das Wohl der Erholungssuchenden. Vieles hatte sich hier verändert seit seinem Weggang, und manches war einfach noch da, so wie Gizela Szutkowska, die gute Seele des Ortes, und ihr Sohn Rudolf mit der großen, unbeherrschten Hand und der Wut, die manchmal in ihm aufstieg.
Artur Becker behauptet oft, er schreibe polnische Literatur, nur eben in deutscher Sprache. Doch dies ist noch lange kein Grund für Germanisten oder Slawisten, sich um ihn zu streiten. Denn das Wunderbare ist, dass er die Leser an seinen schier unerschöpfliche Geschichten teilhaben lässt, die er in einer Sprache erzählt, die über so viele Facetten verfügt und zuweilen jenes Pathos aufweist, das deutsche Autoren nur allzu ängstlich meiden. Becker verleiht den Dingen und Figuren jene Bedeutung, die sie verdienen.

 

 

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