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Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang

Chamisso Heft, März 2014, Nr. 10

Unergründliches Masuren
Erholung am See – mit Artur Becker

Von Klaus Hübner

Wer Artur Beckers etwas schräge masurische Romanwelt kennt und von „Kino Muza“ (2003) oder „Wodka und Messer“ (2008) ähnlich begeistert war wie von seinem Meisterwerk „Der Lippenstift meiner Mutter“ (2010), kommt einmal mehr voll auf seine Kosten. Denn der 1968 in Bartoszyce unweit der Grenze zum russischen Oblast Kaliningrad geborene Schriftsteller, der seit 1985 in Deutschland lebt und arbeitet, beutet in seinem jüngsten, im Titel den bekannten Psalm „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ (113,3) zitierenden Roman seine polnische Jugend- und Familiengeschichte aus. Man wird erneut konfrontiert mit der überwältigenden, aber auch abgründigen Schönheit masurischer Seen,Wälder und Kleinstädte, und man trifft einige alte Bekannte wieder – niemals eindeutige oder fertige Charaktere, sondern in sich widersprüchliche, sehnsüchtige und suchende und genau deshalb interessante Figuren. Vor allem aber darf man sich einmal mehr dem vielgerühmten „Becker-Sound“ ausliefern, der rhythmisch und kraftvoll wie eh und je durch das turbulente Romangeschehen führt und der unwiderstehlichen Sprachmelodie gehorcht, die seit je charakteristisch ist für die Werke dieses Autors.
Der Auftakt ist spektakulär: Karol Duszka, der zu kommunistischen Zeiten mächtige Textilfabrikdirektor aus Bartoszyce, ist am Allerseelentag des Jahres 2010 kurz vor einem Familientreffen in Verden an der Aller die Kellertreppe hintergestürzt. Seine längst in England lebende Tochter Mariola und sein nach Norddeutschland emigrierter Neffe Arek, die seit Kindertagen eine ganz besondere, erotisch aufgeladene Beziehung zueinander pflegen, halten Totenwache. Die Novembernacht „in Areks angenähtem Land der Findlinge, Sachsen und Nordseeinseln, in der Heimat der Stinte und der evangelischen Friedhöfe, im Orkanauge der deutschen Sprache“ gerät ihnen zu einer großen Rückschau auf ihr Leben in der katholisch-chaotischen Volksreplik Polen, ganz besonders auf ihre Jugendzeit in den 1980er-Jahren. Das Erholungszentrum „Die Kleine Maräne“ am Lutrysee ist der entscheidende Schauplatz, auf dem Areks und Mariolas Freunde, die gesamte Verwandtschaft und ein herrlich versoffenes, vitales Ensemble skurriler Endzeit-Typen ihre Auftritte haben. Menschliches und Allzumenschliches wird, wie immer bei Artur Becker, unterlegt mit spätkommunistisch-mitteleuropäischer Zeitgeschichte und metaphysischen Spekulationen. Und am Ende steht ein phantastisch-utopischer Ausblick auf die Arek bevorstehenden nächsten drei Jahrzehnte. Ein mit vielen Überraschungen und ungeahnten Wendungen voranschreitender, spannender und unterhaltsamer Roman ist dem Autor hier gelungen. Artur Becker ist ein großartiger Erzähler.

 

 

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