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Der Lippenstift meiner Mutter

Sächsische Zeitung, 22./23. Januar 2011

Tanz in der Totenkammer

Artur Becker erzählt heiter und fabulierfreudig von einer Kindheit in der masurischen Provinz.

Von Christine Richter

Schriftsteller haben immer eine Rechnung offen mit dem Land, aus dem sie kommen, sagt Artur Becker. Er kommt aus Polen. Seit 1985 lebt er in Deutschland. Mit burlesken, bunt schillernden- Romanen kehrt er in die alte Heimat zurück. Dort riecht es nach Salzdillgurken und Sauerkraut, nach selbst gebrann-tem Schnaps und getrockneten Gänseblümchen. Es ist der Geruch von Kindheit, den Becker in seinem jüngsten Roman »Der Lippenstift meiner Mutter« heraufholt. Da werden die späten Siebzigerjahre lebendig in der masurischen Kleinstadt Dolina Róz, dem ehemaligen Rosenthal. Der Krieg ist noch nicht lange genug vorbei, und die Zukunft lässt sich viel Zeit. Ein diffuses gesellschaftliches Zwischenreich.

Bartek nimmt es wohl wahr, staunend, irri- tiert und amüsiert, doch sehr viel mehr hat er mit seinem eigenen Dazwischensein zu tun. Der 15-Iährige fühlt sich erwachsen. Die Verwandtschaft behandelt ihn wie ein Plüschtier. Kein Wunder, dass der ]unge sich selber fremd ist. Er wäre gern einer der unvergesslichen Actionhelden, die er in amerikanischen Filmen im Kino sieht. Dann würde er mit Meryl Streep für die Freiheit der Anarchie kämpfen. In der Realität tanzt er zur Musik von Pink Floyd durch die Küche, nackt und mit dem mütterlichen Lippenstift bemalt. Sein Publikum: die kreuzkatholische Oma Olcia und Opa Franzose, der Eisenbahner, der seine Frau im KZ Bergen-Belsen kennenlernte.

Artur Becker malt großartig bizarre Szenen. Er hat einen Nerv für die Komik, die in jeder Tragödie stecken kann. Er bringt die Tristesse zum Funkeln. Der biografische Patchworktep­pich seines Romans zeigt sinnliche, wilde, fantastische Muster. Da mischen sich Relikte der Deutschordenszeit mit Resten jüdischer Religion, Tradition und realsozialis­tischer Gegenwart. Zum zentralen Ort der Handlung wird die verstaubte Werkstatt des Schusters Lupicki, wo sich alle treffen. Keine Frage: Hier liegt der utopische Mittelpunkt Europas.

 

 

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