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vom 30. September 2003
Polnische
Heimat Norddeutschland
Von
Katarzyna Rogacka-Michels
"Emigranten
verhalten sich wie Manisch-Depressive! An einem Tag liebst du dein
neues Land, an einem anderen hasst du es abgrundtief ..." In
dieser Spannung, zwischen Liebe und Hass, Gut und Böse, Gegenwart
und Vergangenheit, Hier und Dort - Polen und Deutschland - befindet
sich der Pole Antek, der in Deutschland zu Arnold Haack umbenannt
wird, ein Anti- und Frauenheld, der aber kein Held werden will in
Artur Beckers neustem Roman "Kino Muza".
Antek Haack ist Anfang 30, arbeitet in den 80er Jahren im Kino Muza
in Bartoszyce als Kartenabreißer und träumt von einem
eigenen Kino. Einmal im Jahr fährt er nach Bremen, um dort
als Zimmermaler das nötige Geld für die Übernahme
des Kino Muza zu verdienen. In Bremen wird er von Lucie geliebt,
in Bartoszyce von seiner Chefin Teresa, aber seine große Liebe
bleibt Beata aus Masuren. Nachdem Beatas Mann unter mysteriösen
Umstän-den den Tod findet, kommen auf Antek große Veränderungen
zu. Die Pläne, das Kino Muza zu übernehmen, scheitern,
und Antek flieht vor der polnischen Staatssicherheit nach Deutschland,
wo er eine neue Existenz aufzubauen versucht. In einem Behinder-tenheim
im Allertal wird er Pfleger und lässt die Ereignisse auf sich
zukommen.
Nicht zum ersten Mal dient das kleine Städtchen in Masuren,
Bar-toszyce an der Alle, als Kulisse für Artur Beckers Prosa
(Der Da-dajsee 1997, Onkel Jimmy, die Indianer und ich 2001, Die
Milch-straße 2002). Der seit 1985 in Verden an der Aller lebende
und deutsch schreibende Autor ist ein leidenschaftlicher Geschichten-erzähler.
Er benutzt das immer noch exotische polnische Moment als Fundgrube
für seine Geschichten.
Gekonnt setzt Becker die weit verbreiteten Klischees über Polen
und Deutsche ein. Es gibt bei ihm Polen, die trinken, "die
mit ihren störrischen Seelen oder mit Regierungen in Warschau
und Moskau kämpfen, meistens über dem vollen Glas."
Es treten Po-len auf, die gerne Sex haben, am besten mit verschiedenen
Frauen, die aber ihre eigene Ehefrau fürchten. Es wird von
krea-tiven Polen erzählt, die sich in jeder Situation zurecht
finden und für jeden Notfall eine Lösung parat haben -
da das Leben, egal wie trostlos es sein mag, gleich unter welchem
Regime, weiter gehen muss.
Deutschland sei dagegen wie Sodbrennen. "Der Bauch! Da waren
die Deutschen am verwundbarsten." Magenbeschwerden und Maaloxan
bestimmen den deutschen Alltag.
Auch der Umgang mit der eigenen Geschichte macht die Unter-schiede
deutlich: Antek muss und will sich erinnern, sein deu-tscher Kollege
dagegen versucht, seine Vergangenheit zu verges-sen.
Artur Becker gelingt es, den Menschen und ihren Lebensschicksa-len
nahe zu kommen. Die Welten und Existenzen seiner Protago-nisten
prallen aufeinander, aber sie explodieren nicht. Ganz im Gegenteil,
um mit Gombrowicz zu sprechen, sie "verbrüdern sich"
und scheitern letztendlich.
Hinter den vielen Geschichten verbirgt sich ein grundsätzliches
Problem - die Heimatlosigkeit, die Suche nach einer Heimat und die
Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, ein Zuhause zu finden.
Die deutschen Eltern des Protagonisten haben ihr Zuhause in Polen
gefunden - aus Inge wurde Inga und aus Berthold Bar-tek. Ähnliches
erwartet Antek in Deutschland, wo er zu Arnold wird, aber trotzdem
keine Heimat findet. Das Kino Muza ist nicht nur irgendein Kino
und irgendeine gescheiterte Geschäftsidee, sondern es entpuppt
sich als sein verlorenes Zuhause. Auch die Liebe bietet Antek keinen
Anker auf der Flucht vor dem Regime, keine neue Heimat. Zum Schluss
sucht Antek, zunächst eine undurchsichtige und unverständliche
Figur, zerrissen zwischen vier Frauen und unfähig zu handeln,
ein Ende à la Houellebecq.
In "Kino Muza" potenziert Becker in Großaufnahmen
die Tragik des menschlichen Schicksals in der verworrenen Welt jenseits
nationaler Grenzen und bringt nebenbei die tradierte Fremdheit Polens
dem deutschen Leser etwas näher.
©
Katarzyna Rogacka-Michels
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