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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.Oktober 2006

Grenzgänger – Artur Becker erzählt von einem anderen Frédéric Chopin

Von Sabine Berking

Die sterblichen Überreste Frédéric Chopins liegen in Paris, sein Herz aber wurde ihm auf eigenen Wunsch herausgeschnitten, postum, versteht sich. Nun ruht es fern der Gebeine in einer Warschauer Kirche. Einem Landsmann und Namensvetter des Komponisten geht es da nicht viel anders: Seine Seele ist zerrissen zwischen Ost und West, Herz und Verstand, Herkunft und Ankunft.
Das Metier des modernen Chopin, von dem Artur Becker in seinem neuen Roman erzählt, ist der Gebrauchtwagenhandel, eine Branche, die zu den großen Gewinnern der letzten historischen Zäsur zählt. Was zuvor auf deutschen Schrottplätzen voreilig in die Metallpresse wanderte, rollt heute noch Jahre durch kasachische Steppen und über russische Weiten. Im Jahre 1983 als Jugendlicher aus dem ostpolnischen Bartoszyce in den Westen geflohen, bekam Chopin politisches Asyl in Bremen, wurde Deutscher, machte das Abitur nach und begann, Kriminalistik zu studieren. Kriminalkommissar wollte er werden, bis er gewissermaßen die Seiten wechselte. Mit dem Verkauf gebrauchter Autos zweifelhafter Herkunft ließ sich allemal mehr Geld verdienen als mit dem Auffinden geklauter.
Zum Glück fehlte ihm nur noch die Liebe, die sich in Gestalt einer Kundin, der alleinerziehenden Sozialarbeiterin Maria Magdalena, einfindet. Die junge Deutsche mit dem heilfrommen Namen wiederum hat wenig für den halbkriminellen Autohandel übrig, und als der große Coup aus den russischen Weiten winkt, kommt es zum Krach mit der Freundin und den deutschen Teilhabern.
Das Glück wird durch einen weiteren Umstand erschwert. Wer nämlich aus den masurischen Wäldern kommt, der hat eine schwermütige Ader und wird in Bremen nicht so leicht glücklich. Chopin, dem seine Freunde diesen Spitznamen nach einer Schlägerei in Bartoszyce verpaßten, die ihm die Haare wie seinem berühmten Landsmann nach dessen Klavierkonzerten zu Berge stehen ließ, ist ein Soldat der ewigen Nacht und der roten Fahnen, was bedeuten soll, daß die Kombination aus Katechismus und Kommunismus, wie man sie wohl nur in Polen finden konnte, Narben in seiner Seele hinterlassen hat. Da gibt es heimliche Todeslisten, zuviel Alkohol und Hasch, Eltern im fernen Bartoszyce, die krank und einsam sind, und düstere Gedanken, die man einer deutschen Freundin lieber nicht anvertraut.

Artur Becker ist ein Meister der Situationskomik und des bitterbösen Lakonismus. Der Sumpf der grenzüberschreitenden Kleinkriminalität, die polnische und die deutsche Mischpoke - das alles liest sich amüsant, wenn auch nicht ganz unverbraucht. Artur Beckers schwermütige deutsch-polnische Grenzgänger fahren nämlich seit Jahren in einer Art Endlosschleife zwischen Bartoszyce (Bartenstein) und Bremen hin und her, die Geschichten fließen ineinander über wie die Seen und Flüsse der Masuren: Männerfreundschaft, Liebeskummer, kauzige alte und unglückliche junge Männer, Sehnsucht nach der melancholischen Landschaft Ostpreußens und ein Überdruß am Westen. Am Ende ist der Mann immer wieder am Anfang. Auch diesmal ist die Geschichte nicht zu Ende, da beginnt schon eine neue - in Bartoszyce, versteht sich.

Artur Becker: "Das Herz von Chopin". Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006. 285 S., geb., 22,- [Euro]

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