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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

Frankfurter Rundschau, Buchmessebeilage, 10.10.01

Jes! Aj em fri!

Artur Beckers wunderbarer Schelmenroman
“Onkel Jimmy, die Indianer und ich”

Von Ulrich Rüdenauer

Wer hätte nicht gern einen reichen Onkel in Übersee? Einen, der es geschafft hat. Einen, der eines Tages zurückkehrt, die Taschen voller Geld und voller Geschenke. "Kugelschreiber mit dem Emblem der Canada Airlines International, Schwänchen aus Glas mit golden angemalten Schnäbelchen, aufklappbare Taschenspiegel für die Frauen und Schokolade, sorgfältig in Papierservietten gewickelt." So muss die große Welt aussehen. Zumindest für die Helden, die in Artur Beckers zweitem Roman Onkel Jimmy, die Indianer und ich chaotisch durchs Leben poltern. Nun ist nicht alles Gold, was so bezaubernd glänzt wie die Glasschwänchen mit ihren golden verzierten Schnäbelchen. Das gilt ganz besonders für die polnischen Kanada-Auswanderer Jimmy Koronko und Teofil Baker. Der enthusiastische Empfang der beiden verlorenen Söhne in ihrer Heimatstadt Rothfließ, wohin sie ihre Geschenke tragen, fußt auf falschen Voraussetzungen: Jimmy und Teofil haben nämlich alles andere als Geld, stattdessen - zumindest gilt das für Jimmy - Probleme und Schulden.

1984 ist für Jimmy in seiner masurischen Heimat kaum noch was zu holen. Seine einträglichen Gauner-Geschäfte im kommunistischen Polen gehen nicht mehr recht, seine Frau hat das Türschloss ausgewechselt, und der trinkfeste Hobby-Philosoph muss in den Fahrradkeller umziehen. Teofil, sein 16-jähriger Neffe und Ich-Erzähler des Buchs, vergöttert Frank Zappa, möchte mit seiner Gitarre mindestens genauso berühmt werden und schließt sich dem Urteil seines Onkels an: Wer sein Glück machen will, muss Polen hinter sich lassen. Teofils erste große Liebe Agnes, die Tochter angesehener Parteifunktionäre, erweist sich dabei als treibende Kraft: "Wir wollten so schnell wie möglich zusammen sein, auch wenn wir dafür nach Amerika fliehen müssten." Agnes bricht kurzentschlossen mit Teofil und Jimmy aus der polnischen Provinz aus und auf nach Kanada. Es wäre wohl etwas waghalsig, die kleinen und größeren Abenteuer, die auf dem Weg dorthin und in den folgenden Jahren bewältigt werden, nachzuerzählen. Der 33-jährige Artur Becker, der bisher vornehmlich Lyrik veröffentlicht hat, macht das jedenfalls auf wundervolle Weise: in einem schnoddrig-einnehmenden Ton, knapp und prägnant. Das Chaos wird immer gerade noch in unprätentiöse erzählerische Bahnen gelenkt.

Nicht unähnlich einem anderen zur Zeit gefeierten "Migrantenliteraten", Wladimir Kaminer nämlich, schafft es der aus Masuren stammende Becker, episodenhaft den Zusammenstoß zweier Welten zu schildern. Staunend und voller Witz, aber ohne sie dabei zu denunzieren, lässt er seine Don Quixote-Figur Jimmy auf die Unbilden der modernen Welt treffen und geradezu philosophische Schätze notieren - oder mit Nachdruck durch einen Kehlkopfgenerator mit Darth Vader-Stimme intonieren: ",So 'ne komplizierte Ingenieurstechnik wie den Bau einer Feuertreppe beherrschen wir in Rothfließ nicht. Wenn es bei uns brennt, müssen wir nach Amerika fliehen', sagte Jimmy."

So baut Becker seinen Schelmenroman als Ansammlung von Kuriositäten auf: den Erlebnissen von Onkel Jimmy, der sich in der Neuen Welt nicht recht heimisch fühlen will, im Indianerreservat komisch seelenverwandte Underdogs findet, seinen kanadischen Pass schließlich in der Lotterie gewinnt, mit Teofil zusammen die etwas abgehalfterte Party-Band "Black is White" gründet, die für emigrierte Polen die Samstagabende in der Fremde ein wenig vergnüglicher gestaltet und das "Schaubiss" erobern will - und all das wird vermengt mit Liebesgeschichten und verkorksten Auf- und Ausbruchsversuchen seines treuen Neffen. Der Roman entwickelt sich zeitweise zum abstrusen Road-Movie, zur Groteske, zu einer zwischen Heiterkeit und Melancholie oszillierenden Spurensuche nach Lebensgeschichten, die im Strudel der großen Geschichte unterzugehen drohen.

Die Komposition des Buches ist einfach, aber wirkungsvoll. Es beginnt mit einer Rückkehr in die Heimat, wo die Erinnerung an die vergangenen neun Jahre in Gang gesetzt wird, und kommt schließlich wieder in der erzählerischen Gegenwart an, dem Jahr 1993 nämlich. Die Welt hat sich fast über Nacht gewandelt, der Sozialismus ist zusammengebrochen, die Zeiten sind plötzlich andere. Für Jimmy und Teofil aber sind sie - zumindest was Rothfließ betrifft - stehen geblieben. Also zurück in die Heimat, denn Onkel Jimmy hält es in der Neuen Welt nicht mehr aus: Das anfängliche Glücksversprechen - "Jes! Aj em fri!" - endet für ihn im finanziellen Desaster, für Teofil in einer neuen Liebe und für die beiden ungleichen Genossen in einer Urlaubs- und Erholungsreise mitten hinein in die Vergangenheit.

Es ist eine die Wahrnehmungen verzerrende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, in der sich die Auswanderer einrichten müssen. Sie leben bewusstseinsmäßig noch in einer anderen Epoche und einem anderen Land, das sie geografisch schon längst verlassen haben. So legen sich verschiedene Schichten übereinander - erzählerische, gedankliche, sprachliche. Nicht zuletzt deshalb konnte man in den vergangenen Jahren vor allem an den "Rändern" einige der fruchtbareren literarischen Entdeckungen machen. In den aneinander gereihten Geschichten, die Artur Becker in Onkel Jimmy, die Indianer und ich erzählt, schwingt etwas mit von einem offenen Blick auf die Welt, der nicht sentimental, kaum nostalgisch und nur selten folkloristisch ist. Der Autor spricht von den Hoffnungen und den Desillusionierungen seiner Figuren, mitfühlend und mitreißend, und immer in größtmöglicher Distanz zum Kitsch.

© Ulrich Rüdenauer


 

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