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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

Nordwestradio Bremen, 15.11.01
Stimme, 11.12. 2001

Wanderschaft

Artur Beckers Roman „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“

Von Christian Cortés

„Wie du dich auch drehen magst, der Arsch ist immer hinten“ – so lautet eine der unzähligen bodenständigen Lebensweisheiten von Onkel Jimmy Koronko, ein trotziger wie trinkfester Strassenphilosoph, für den das Leben nichts anderes als ein apotheotisches Feuerwerk ist. Dieser gewitzte Chaot und Sprücheklopfer ist der eigentliche Held in Artur Beckers jüngstem Roman. „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ – so der Buchtitel – erzählt die verzwickte wie abstruse Geschichte eines Scheiterns; ein Schelmenroman der Emigration, zwischen Abfahrt und Rückkehr, tragikomisch, vital, unpathetisch und kurios.

Drei Bewohner eines polnischen Provinznestes verlassen 1984 ihre masurische Heimat und gehen nach Kanada. Eine Fahrt in das Schlaraffenland ihrer Träume. Das ist zum einen der bereits erwähnte Onkel Jimmy. Seine krummen Geschäfte kann er nicht länger vertuschen. Die Auswanderung ist für ihn daher vor allem eine Flucht vor einer sicheren Gefängnisstrafe. Der zweite Ausreisende ist Jimmys Neffe, der 16jähri-ge Teofil. Er vergöttert die Musik von Frank Zappa und träumt von einer Karriere als Rockgitarrist. Teofil ist über beide Ohren in die zwei Jahre ältere Agnes verliebt, eine Tochter angesehener Parteifunktionäre, die endlich frei sein will. Diese polnische Schönheit ist die dritte im Bunde. Agnes und Teofil lieben sich, doch heiraten muss sie Onkel Jimmy. Nur so dürfen sie gemeinsam Polen verlassen.

Für das tollkühne Trio wird Kanada nicht zum erträumten El Dorado. Das Ganze endet in einem Schlamassel. Onkel Jimmy gewinnt zwar seinen kanadischen Pass in der Lotterie, ansonsten häuft er nur Schulden an. Teofil wiederum wird von der schönen Agnes verlassen. Onkel und Neffe gründen eine Band mit dem Namen „Black is White“ und treten an den Wochenenden vor Landsleuten auf, die wie sie in Kanada ihr Glück versuchen wollen. Es ist wohl das Los der Emigranten, es immer wieder mit Schicksalsgenossen zu tun zu haben. Dabei meiden Zugewanderte in der Fremde Landsleute wie die Pest. Zu sehr erinnern diese einen an die eigenen Niederlagen, an die frustrierten Hoffnungen. So muss denn auch Onkel Jimmy feststellen: „Der Ukrainer, der Weißrusse und insbesondere der Pole erweist sich im Ausland als Verräter. Seine Volksgenossen werden ihm zum Klotz am Bein. Er schwingt dann den Knüppel und verjagt sie. Das nenne ich Bruderkrieg.“

Der Roman endet neun Jahre später dort, wo die Geschichte begonnen hatte. Onkel und Neffe kehren wieder in ihr masurisches Dorf zurück, verarmt, verschämt und gescheitert. Auch diese Rückkehr ist eine Flucht vor den Schulden, der Entfremdung: „Fliehen! Was ist das für eine Sehnsucht!“ lässt der Autor folgerichtig eine seiner Romanfiguren fragen. In der Zwischenzeit hat sich auch Polen grundlegend gewandelt, die planwirtschaftliche Ordnung nach sowjetischem Muster ist zusammengebrochen; jeder ist nun allein auf sich gestellt. Ob Ausbruch oder Flucht, die Rückkehr nach Masuren wird für Onkel Jimmy und seinen treuen Neffen zu einer Wiederbegegnung mit sich selbst, zu einem Akt der Erinnerung, der Besinnung.

Artur Becker hat dem Emigranten zum Antihelden seines Romans erkoren. Dabei geht es um Menschen, die zwischen Hoffnung auf ein schöneres Leben, zwischen Heimweh und dem Aufeinanderprallen zweier verschiedener Welten zerrieben werden. An ihrer Selbstachtung halten sie jedoch fest, sie fluchen, lachen und schlagen sich irgendwie durch, bewahren sich dabei – mitten im Desaster ihrer gescheiterten Hoffnungen – die Haltung. „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ ist eine großartige, vor Leben sprühende Huldigung all derer, die sich – ganz gleich in welcher Gegend der Welt – gegenwärtig auf Wanderschaft befinden, und dabei dem Leben ihr ganz persönliches Stück Glück abtrotzen wollen.

Der Schriftsteller Artur Becker – Ein Portrait

„Meine Mutter war Lehrerin, Polnischlehrerin. Wir hatten zu Hause sehr viele Bücher. Und dabei habe ich die Literatur entdeckt. Und die große Liebe zur Literatur hat bei mir in erster Linie nichts mit Nationalität zu tun. Ich würde mich zwar nicht als einen Kosmopoliten bezeichnen. Aber ich habe oft den Eindruck, dass ich auch in anderen Sprachräumen oder in anderen Kulturen etwas wiedererkennen kann, was mir schon einmal in meiner Heimat begegnet ist.“

Er zündet sich eine Zigarette nach der anderen an und trinkt auch gerne Bier, während er an seinen verzwickten Geschichten strickt. Artur Becker stammt aus Polen, aus Masuren. Als 17jähriger zog er 1985 zusammen mit seinen Eltern nach Deutschland und lebt seitdem in Verden. An der Bremer Universität hat er deutsche Literatur und Sprachwissenschaften studiert. Inzwischen ist Becker ein gefeierter Autor, der für seine Romane und Gedichte mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet worden ist.

Als Meister des lakonisch-schnoddrigen Stils wird der Masure von der Literaturkritik hierzulande gelobt. Dabei schreibt er nicht etwa in seiner polnischen Muttersprache, sondern in Deutsch; eine Sprache, die er sich mühevoll und Wort für Wort aneignen musste.

„Prosa schreibe ich auf Deutsch. Bei mir gab es allerdings die Schwierigkeit, dass ich mich im ersten Jahr gewehrt habe, diese Sprache zu lernen. Im zweiten Jahr habe ich bemerkt, dass diese Sprache für mich sehr wichtig ist, weil ich Abitur machen wollte. Während des Gymnasiums und während des Studiums und während meiner Zivildienstzeit hatte ich im Grunde genommen keine Probleme mehr mit dieser Sprache. Als es aber dann ernster mit dem Schreiben wurde, habe ich gesehen, dass ich diese Sprache noch einmal lernen muss. Ich musste noch einmal Ausdrücke, idiomatische Begriffe lernen und diese Sprache noch einmal entdecken.“

Beckers Gedichte lesen sich wie die Eintragungen im Logobuch eines Emigranten, der entschlossen ist, sich in der Fremde zu behaupten und der Verse schmiedend Ungewissheit und Selbstzweifel abzuschütteln versucht. In einem Gedicht schreibt er: „Bleib ruhig Junge / In der ganzen Galaxie / Wimmelt es von polnischen Reisenden / Aber du bist nicht recht bei Verstand / Dein Zug wird sich schon wieder verspäten / Mehr nicht.“ Bei Becker gibt es keinen Schmerz, keine Abschiede, keine Klagen. Sein Ton ist immer nüchtern. Jede Strasse lockt ihn, jede Route – eine Sprache, die verzaubern kann. Im Mittelpunkt seines Schreibens steht das Scheitern der Träume, die Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit von Menschen, die auf der Suche sind, die dem Leben mehr Menschlichkeit und Intensität abverlangen. Um dieses Ringen geht es ihm. Nur so fand er selbst in Deutschland ein Zuhause. Das Leben pulsiert eben überall.

„Deutschland ist für mich inzwischen ein Land geworden, das ich aus einer für mich ganz bestimmten Distanz sehen kann. Früher, in den 80er Jahren, war das nicht sehr einfach. Ich habe oft romantische Vorstellungen gehabt und konnte mit diesem Land überhaupt nicht klarkommen. Dieses Land war wirklich für mich fremd. Aber inzwischen sind Jahre vergangen und ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich hier auch meinen Platz gefunden habe.“

© Christian Cortés


 

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