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Die Milchstraße

Verdener Aller Zeitung vom 13. Dezember 2002
Neue Osnabrücker Zeitung, 14.12.2002

Korruption als Glücksfall

In seinem Buch „Die Milchstraße“ erzählt Artur Becker von schrulligen Grenzgängern und realistischen Träumern

Von Antje Weger

Berlin. Polen in den 80er Jahren. Mareks Eltern leben längst in Deutschland. Damals wollte Marek nicht mit. Aber inzwischen hat sich für ihn viel geändert: Sein Sohn ist tot, seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen. Weil er sich in der Gewerkschaft engagierte, war er im Gefängnis. Jetzt will auch er nach Deutschland. Seit Monaten wartet er vergeblich auf die Ausreise, befindet er sich in einem mentalen Niemandsland. Ein Pass muss endlich her. Sein Freund Bogdan weiß Rat: Der Offizier im Passamt ist nicht nur geldgierig, sondern auch herzkrank und auf Medikamente aus dem Westen angewiesen. Aber das ist noch eine Hürde: Marek muss wieder heiraten, damit die Behörden glauben, er kommt zurück.. Kein unlösbares Problem: Bogdan hat eine Schwester. Auf der fingierten Hochzeit agieren alle wie routinierte Laienschauspieler. Der Zweck heiligt die Mittel – selbst die Kirche macht mit. Nur vor der Zeremonie empört sich der Priester in einer splapstickähnlichen Szene, dass er „mit gefälschten Beweisen, mit falschen Zeugen, ohne Beichte“ arbeiten muss.

Artur Becker beschreibt eine Gesellschaft, die auf Lug und Trug aufgebaut ist. Ein Umstand, der im stillen Einverständnis von allen hingenommen wird und den sich jeder auf seine Weise zunutze macht. Das führt zu teilweise grotesken Situationen. Die Korruption erweist sich als Glückszufall, ist sich doch die einzige Konstante, auf den Verlass ist – auch wenn es um einen Pass geht ...

Becker, Jahrgang 1968, weiß, wovon er schreibt: Er ist in Polen aufgewachsen. Als 16-jähriger kam der Sohn polnisch-deutscher Eltern nach Deutschland. Heute lebt er als Schriftsteller und Übersetzer in Verden an der Aller. Schon „Der Dadajsee“, sein preisgekröntes Romandebüt, das 1997 erschien, handelt u.a. von den Unterschieden zwischen deutscher und polnischer Identität. Auch in seinem neuesten Erzählband ist er diesem Thema treu geblieben. Entsprechend sind auch die Schauplätze seiner Geschichten gewählt: überwiegend Orte in den beiden Ländern. Angesiedelt sind seine Erzählungen in den 80er und 90er Jahren, der Zeit des Umbruchs. Unangepasste, oft etwas schrullig-chaotische Figuren stehen im Mittelpunkt. Meist sind sie Grenzgänger, Wanderer zwischen den Welten. Sie haben ihre eigene Lebensphilosophie. Vorgefertigte Schablonen, nach denen ihr Dasein verlaufen soll, durchkreuzen sie konsequent. Tadek beispielweise. Ihm graut es vor dem Wehrdienst in der polnischen Armee. Lust aufs Astronomiestudium hat er auch nicht. Lieber besorgt er sich auf krummen Wegen Papiere und geht nach Deutschland, um dort steinreich zu werden. Aber auch nach Jahren ist er von diesem Ziel noch weit entfernt. Doch eines Tages kündigt sich überraschend Besuch an, der sein Leben gewaltig durcheinanderwirbeln könnte ...

Becker erzählt rasant und mit Witz, in den sich manchmal auch eine Spur Melancholie mischt. Die meisten seiner Helden sind realistische Träumer. Sie erinnern sich auch an die Hoffnungen, die sie eigentlich längst begraben haben, um sich dann weiter trickreich durchs Leben zu schlängeln. Entmutigen lassen sie sich nicht, denn im Grunde sind es für sie ohnehin die einfachen Dinge, die zählen.

© Antje Weger

 

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